NGC 281 – Emissionsnebel und Sternentstehungsregion im Perseus-Arm

(auch: Sh2-184, IC 11, LBN 616, „Pacman Nebula“)
NGC281
Ort: Schwedt/Oder; Datum: 24.09.2025; Uhrzeit: 21:07 - 23:32 Uhr
Teleskop: Seestar S50; AZ-Modus; Bilder je 10 s = 1h 16m in 4K-Qualität unter Verwendung der Anti-Tau-Funktion.
Gestapelt und bearbeitet mit Astroart: 456 Bilder gestapelt, Histogramm angepasst, unscharfe Maske (Filter), Anti-Vignettierung, Star Compressing, Binning 3x3, Rotate

Der Emissionsnebel NGC 281 ist eine aktive Sternentstehungsregion im Sternbild Cassiopeia, etwa 9.200 Lichtjahre von der Erde entfernt. Mit einer scheinbaren Ausdehnung von rund 30–35 Bogenminuten entspricht dies einem realen Durchmesser von etwa 80 bis 100 Lichtjahren. NGC 281 liegt leicht oberhalb der galaktischen Ebene, rund 300 Parsec über der Milchstraßenebene, und ist Teil des Perseus-Spiralarmes unserer Galaxis.

Entdeckung und Katalogisierung
Entdeckt wurde der Nebel im Jahr 1883 von dem US-Astronomen Edward Emerson Barnard am Lick Observatory. Er beschrieb ihn als „ausgedehnten, diffusen Nebel mit einem eingebetteten Sternhaufen“. Später erhielt er im New General Catalogue von John L. E. Dreyer die Bezeichnung NGC 281 und wurde zusätzlich im Sharpless-Katalog (Sh2-184) und im Lynds Bright Nebulae Catalogue (LBN 616) erfasst.

Physikalische Struktur und Komponenten
NGC 281 ist eine klassische H II-Region, also eine Wolke aus ionisiertem Wasserstoffgas, das durch die ultraviolette Strahlung heißer, massereicher Sterne zum Leuchten angeregt wird. Im Zentrum liegt der offene Sternhaufen IC 1590, der mehrere Dutzend junger, massereicher Sterne enthält. Dominant ist das Mehrfachsystem HD 5005 (BD +55 191), bestehend aus mindestens vier Komponenten, darunter ein Hauptstern der Spektralklasse O6 V((f)), dessen UV-Strahlung die umgebende Gaswolke ionisiert. Die intensive Strahlung und die Sternwinde dieser O- und B-Sterne erzeugen ausgeprägte Ionisationsfronten und Stoßwellen, die wiederum in den angrenzenden Molekülwolken neue Sternentstehung anstoßen. In den dichteren Randzonen des Nebels finden sich mehrere Bok-Globulen – kompakte Dunkelwolken mit Durchmessern von 0,5 bis 1 Lichtjahr, die als mögliche Geburtsorte neuer Sterne gelten. Diese Globulen wurden unter anderem durch das Hubble-Weltraumteleskop, Spitzer und das Subaru-Teleskop hochaufgelöst beobachtet und zeigen komplexe Strukturen aus Staub, Molekülgas und eingebetteten jungen Sternobjekten (YSOs).

Entfernungsmessungen und kinematische Daten
Die Entfernung zu NGC 281 wurde mehrfach neu bestimmt. Frühere photometrische Schätzungen ergaben Werte zwischen 2,2 und 3,0 kpc. Hochpräzise VLBI-Parallaxenmessungen mittels VERA (VLBI Exploration of Radio Astrometry) lieferten schließlich einen Wert von 2,82 ± 0,24 kpc (≈ 9.200 Lichtjahre).
Die Radialgeschwindigkeit der ionisierten Gasanteile beträgt etwa –31 km/s (relativ zur lokalen Standardgeschwindigkeit). Das Objekt gehört damit eindeutig dem Perseus-Arm an.
Die Region ist in zahlreiche CO-Emissionen eingebettet, die eine kinematische Komplexität mit Substrukturen und expandierenden Hohlräumen zeigen – ein Hinweis auf frühere Supernova- oder Windblasenaktivität.

Sternentstehung und junge stellare Objekte
Infrarot- und Röntgenbeobachtungen, insbesondere durch Spitzer, 2MASS und Chandra, haben mehrere Hundert junge stellare Objekte (YSOs) in NGC 281 identifiziert. Diese lassen sich in verschiedene Entwicklungsphasen einteilen (Klasse I bis Klasse III). Die YSOs konzentrieren sich vor allem entlang der dichten Staubränder, die den zentralen Haufen IC 1590 umgeben – ein Muster, das auf „triggered star formation“ (angeregte Sternentstehung) hindeutet. Diese Form der Sternbildung wird durch die expandierende Ionisationsfront verursacht, die die umgebenden Molekülwolken komprimiert und so die Gravitationskollaps-Bedingungen für neue Sterne schafft. Zusätzlich zeigen Radiobeobachtungen der Molekülwolkenregion NGC 281 West (eine der Substrukturen) Maser-Emissionen von Wasser (H₂O-Maser) und Methanol – deutliche Kennzeichen aktiver Sternentstehungszonen.

Strahlung und Spektraleigenschaften
Der Nebel leuchtet charakteristisch in den Linien:
  • H-α (656,3 nm) – dominiert das sichtbare Spektrum und erzeugt die rötliche Färbung.
  • [O III] (495,9 / 500,7 nm) – markiert stärker ionisierte Bereiche, vor allem in der Nähe der heißesten Sterne.
  • [S II] (671,6 / 673,1 nm) – tritt an den Grenzschichten der Ionisationsfronten auf und erlaubt Rückschlüsse auf Elektronendichte und Temperatur.
Die mittlere Elektronendichte beträgt etwa 150–250 cm⁻³, die Temperatur liegt bei rund 8.000–10.000 K.

Morphologie
Die auffällige Form von NGC 281 mit der sichel- oder keilförmigen Dunkelstruktur („Mund“) gab ihm den populären Beinamen „Pacman Nebula“. Diese Form entsteht durch das Wechselspiel von ionisierendem Strahlungsdruck, Staubabsorption und hydrodynamischen Prozessen innerhalb der Molekülwolke. Das dunkle „Mundgebiet“ ist eine Region dichter Molekülwolken mit hoher Extinktion, die das sichtbare Licht teilweise blockiert. In tieferliegenden Wellenlängenbereichen (IR, Radio) zeigt sich dort jedoch eine reiche Population eingebetteter Protosterne.

Wissenschaftliche Relevanz
NGC 281 ist astrophysikalisch besonders interessant, weil:
  1. seine Lage oberhalb der galaktischen Ebene ihn von der üblichen Extinktion der Milchstraßenebene weitgehend befreit,
  2. er eine aktive Sternentstehungsregion darstellt, in der mehrere Generationen von Sternen koexistieren,
  3. er ein Paradebeispiel für feedback-induzierte Sternbildung darstellt,
  4. er durch Maser-Beobachtungen und VLBI-Astrometrie präzise vermessen werden konnte, und
  5. er als Referenzobjekt für Studien von H II-Regionen und Molekülwolkeninteraktionen dient.
Darüber hinaus wird NGC 281 häufig in Arbeiten zur Galaxienstruktur herangezogen, da seine Parallaxenmessung eine der genauesten Entfernungsbestimmungen für den Perseus-Arm liefert.

Beobachtung und Astrofotografie
NGC 281 ist bereits mit kleinen Teleskopen (ab 80–100 mm Öffnung) unter dunklem Himmel fotografisch erfassbar. Seine H-α-Emission ist stark, weshalb Schmalbandfilter (H-α, [O III], [S II]) hervorragende Ergebnisse liefern.
Die Nebelregion reagiert sensibel auf Bildbearbeitung: In linearen Summenbildern zeigen sich rötliche Gasstrukturen, während durch farbkalibrierte Kompositionen (HOO oder SHO) die ionisierte Gasphysik sichtbar wird.
Die Dunkelstrukturen und Bok-Globulen verleihen der Region ihre charakteristische Tiefe. Ihre Darstellung gelingt am besten mit längeren Belichtungszeiten (> 2 Stunden) und hoher Dynamikauflösung.

Technische Daten (aktuelle Werte, 2025)
Parameter Wert Quelle
Katalognummern NGC 281, Sh2-184, IC 11, LBN 616 NGC, Sharpless, Lynds
Rektaszension (J2000) 00h 52m 59s SIMBAD
Deklination (J2000) +56° 37′ 18″ SIMBAD
Entfernung 2,82 ± 0,24 kpc (≈ 9 200 Lj) VERA VLBI (2008)
Radialgeschwindigkeit −31 km/s (LSR) CO-Spektrum
Ionisationstemperatur ~ 8 000–10 000 K H II-Analysen
Elektronendichte 150–250 cm⁻³ optische Spektroskopie
Hauptanregungsquelle HD 5005 (O6 V) IC 1590
Hauptlinien H α, [O III], [S II] optisch
Sternentstehung aktiv (H₂O-Maser, YSOs, Bok-Globulen) Spitzer, Chandra, VERA
Galaktischer Arm Perseus-Arm VLBI-Astrometrie

Zusammenfassung
NGC 281 ist eine der am besten untersuchten H II-Regionen des nördlichen Himmels – eine kosmische Werkstatt der Sternbildung, eingebettet in den Perseus-Arm. Seine Kombination aus Helligkeit, Strukturvielfalt und geringer Extinktion macht ihn zu einem bevorzugten Ziel für Astrofotograf:innen, aber auch zu einem astrophysikalischen Schlüsselobjekt in der Erforschung der Rückkopplungsmechanismen zwischen massereichen Sternen und interstellarem Medium.